Die nächste Hilfsaktion beginnt um 01:00 in der Sonntagnacht. Zunächst galt es ein kleineres Problem beim Tanken zu lösen. Ohne Internet funktioniert der Zahlungsverkehr bei der Tankstelle nicht und VMD kann nur mit Kreditkarte zahlen. Diskussionen zur Problemlösung blieben ergebnislos bis sich ein uns unbekannter Ukrainer bereit erklärte, die gesamte Tankfüllung für uns zu spenden. Nach einer herzlichen Bedankung konnten wir die Reise nach Mykolaiv fortsetzen. Die Fahrt führt über Uman, Kropyvnyzky nach Mykolaiv, bis wir in der Morgenfrühe im Kellerlokal der Kulbakino Stiftung eintreffen. Nach einer herzlichen Begrüssung beginnen wir sogleich mit der Entladung der Esspakete und Hygieneartikel, wobei uns zahlreiche Helfer tatkräftig unterstützen.
Gleich zu Beginn verteilen wir Esspakete an Grossfamilien mit 5 bis 13 Kindern. Dabei handelt es sich ausschliesslich um Waisenkinder, die von Ehepaaren betreut und behütet werden. Erstaunlich und vor allem wohltuend ist zu sehen, wie aufgeweckt und fröhlich all diese Kinder auf mich wirkten. Auch ihre «Adoptiveltern» zeigen viel Zuversicht und positive Energie. Ihr Dank kommt von Herzen und sie bitten mich, den Dank an die ULS weiterzuleiten. So stehe ich ungewollt immer wieder im Fokus, was mich weit mehr betroffen macht als freudige Gefühle auslöst.

Abgabe der Hilfsgüter auf der Basis vorbereiteter Empfängerlisten
Ganz anders wirkt auf mich das Verteilen an die behinderten und älteren Inlandvertriebenen. Nachdem Larisa (die Direktorin der Kulbakino Stiftung) darauf hinwies, dass diese Hilfsgüter von der ULS in der Schweiz gestiftet wurden, kommt eine ältere Frau auf mich zu, umarmt mich spontan und küsst mich in überschwänglicher Dankbarkeit. Es sind berührende Gefühlsausbrüche dieser verzweifelten Menschen. Nur ganz wenige Menschen nehmen das Paket in Empfang und verschwinden wortlos. Völlig unerwartet sehe ich, dass einige der inlandvertriebenen Menschen Geld in eine bereitgestellte kleine Schachtel werfen. Es sind kleine Spenden, sie zeigen jedoch Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende und Solidarität mit den kämpfenden Landsleuten auch in schwierigen Zeiten.

Mitglieder der VMD-Stiftung, Chauffeur und der Betreuerin von Waisenkindern
Nach einer schlaflosen Nacht gefolgt von hektischer Aktivität bis zum späteren Nachmittag ruhen wir uns im Hotel für eine Stunde aus. Zurück im Kellerlokal tischten uns die Kulbakino Frauen ein schmackhaftes Nachtessen auf. Sasha und ich waren die einzigen Männer, denn Olexander, der bis anhin grosse Helfer in der Kulbakino Stiftung, wollte zurück an die Front, wie uns seine Frau erklärte.
Oksana hat in den letzten Wochen riesige Mengen von gebrauchten, warmen Kleidern für Kinder und Jugendliche gesammelt, die wir ebenfalls der Kulbakino Stiftung zur Verteilung überliessen.
Larisa schildert uns die schwierige Situation in Mykolaiv. Die Kulbakino Stiftung betreut dort rund 4000 zugezogene Menschen vornehmlich aus den Regionen Kherson und Odessa. In einem benachbarten Stadtteil betreut die dortige Organisation fast 10`000 Inlandvertriebene. Für ganz Mykolaiv schätzt Larisa die Zahl der geflüchteten Menschen auf etwa 100`000. Die Stadt selbst hatte vor Kriegsausbruch 470`000 Einwohner. Beängstigend ist für Larisa und ihre Helferinnen ist die Tatsache, dass die Zahl der Geflüchteten ständig ansteigt. Niemand weiss, wie es weiter gehen soll, falls der Krieg noch lange Zeit andauern wird.
Larisa dankt im Namen aller Kulbakino Frauen der Urs Lanz Stiftung für die diversen Hilfsaktionen in den vergangenen 12 Monaten. Am nächsten Morgen verlassen wir ausgeruht Maykolaiv die Stadt, die kaum 50 bis 60 km von der russischen Front entfernt ist und immer wieder von Drohnen und Raketen angegriffen wird. Wohlbehalten treffen wir um 19 Uhr in Vinnyzja ein.